News

Schuldenbremse? : „Nichts ist für die Ewigkeit“ BILD-Reporter in der entscheidenden Nacht bei Merz im Büro

Abends im Bundestag vor der nächsten Verhandlungsrunde: Friedrich Merz (69) empfängt BILD zum Gespräch

Abends im Bundestag vor der nächsten Verhandlungsrunde: Friedrich Merz (69) empfängt BILD zum Gespräch

Foto: Niels Starnick/BILD

Es waren die bislang härtesten 48 Stunden im politischen Leben des Friedrich Merz (CDU). Es ging um alles. Um Deutschlands Zukunft, das 1-Billion-Euro-Schuldenpaket, um das Zustandekommen einer neuen Regierungskoalition mit der SPD. Und um seine Kanzlerschaft, für die er einen „Green Deal“ mit den Grünen schloss.

BILD verabredete sich mit Friedrich Merz in dieser entscheidenden Phase zweimal zu persönlichen Gesprächen, am Donnerstagabend in seinem Büro, am Tag darauf per Videokonferenz.

Freitagnachmittag, 15.30 Uhr: Als alles geschafft ist, fällt die konzentrierte Anspannung von Merz ab, dafür hat er jetzt einen Schnupfen. Und ein Kratzen im Hals. Den ganzen Wahlkampf hat er nichts gehabt – „und jetzt das!“

Merz wirkt im Gespräch mit BILD extrem aufgeräumt, ist sogar zu Scherzen aufgelegt. Denn die Einigung mit den Grünen steht! Der Verhandlungsmarathon in der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber des Berliner Reichstags war ein Erfolg.

War das eine historische Nacht? Merz stapelt etwas tiefer: „Unsere Entscheidungen fügen sich jedenfalls ein in die Zeit, in der wir heute leben. Und darauf geben wir jetzt die richtige Antwort. Es waren anstrengende, aber auch ergebnisorientierte Verhandlungen.“

Merz sagt, es habe „immer wieder kritische Phasen“ gegeben, in denen die Gespräche „unterbrochen“ werden mussten, um sich untereinander zu beraten.

Friedrich Merz in seinem Fraktionschef-Büro im 5. Stock des Jakob-Kaiser-Hauses (Bundestag) in Berlin

Friedrich Merz in seinem Fraktionschef-Büro im 5. Stock des Jakob-Kaiser-Hauses (Bundestag) in Berlin

Foto: Niels Starnick/BILD

Bei Wasser, Salat und Wiener Schnitzel (Merz’ goldene Regel: „kein Alkohol bei schwierigen Verhandlungen“) einigte sich die Runde. Ergebnis: Zwei XXL-Schuldenpakete in Höhe von mindestens 1000 Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur. Und für den Klimaschutz nicht 50, sondern sogar 100 Milliarden Euro, damit die Grünen mitmachen.

Merz wird damit ein grünerer Kanzler, als er je gedacht haben mag. Aber immerhin wird er so überhaupt Regierungschef. Merz sagt dazu trocken: „Noch bin ich ja kein Bundeskanzler. Aber ich kann Ihnen garantieren: Ein Grüner werde ich sicher nicht. Aber ein Kanzler, der sich der umweltpolitischen Verantwortung stellt.“

Dass die Grünen in den Verhandlungen sichergestellt haben, dass mit den Milliardenschulden zusätzliche Zukunftsinvestitionen finanziert werden und nicht Dinge, die ohnehin schon angeschoben wurden – Merz ist’s recht. Zuvor hatte es im Bundestag wegen genau dieses Wortes, ‚zusätzlich’, eine Wut-Rede von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge (40) gegeben, weil es ursprünglich nicht im Gesetzentwurf stand.

Am Donnerstag war die Sache noch völlig offen. Als Merz BILD da am späten Abend vor der entscheidenden Nachtsitzung in seinem Büro im Berliner Jakob-Kaiser-Haus traf, stand alles auf der Kippe. Merz ahnte da noch nicht, wie lang seine Nacht werden würde. „Wir verhandeln heute Abend weiter“, sagte er nur. Am Ende ging das Ringen mit den Grünen bis fünf Uhr morgens. Danach legte er sich von „von halb sechs bis halb acht“ zum ­Schlafen.

Für Merz ist klar: Die massiven Investitionen in die Verteidigung sind „dringend geboten“. Aber viele Bürger erwarteten „zu Recht, dass wir zugleich etwas für die Infrastruktur, für die Schulen, für die Krankenhäuser und für die Verkehrswege tun. Deswegen ist das alles zusammen ein Gesamtpaket.“

Und die SPD? Die wäre ohne diese Maßnahmen mit dem Hammer-Volumen von 500 Milliarden Euro, das Parteichefin Saskia Esken (63) einst als Erste gefordert hatte, eh nicht als Koalitionspartner mit an Bord. Dass die Sozialdemokraten jetzt noch abspringen? Merz glaubt’s nicht: „Lars Klingbeil, Alexander Dobrindt und ich werden das Ergebnis gemeinsam tragen. Ich rechne mit der Zustimmung aus allen beteiligten Fraktionen. Alle wissen um ihre Verantwortung für Deutschland.“

Den Vorwurf, er habe die Wähler angelogen, weil er im Wahlkampf behauptet hatte, er wolle keine neuen Schulden, lässt der Sauerländer nicht gelten: „Ich nehme den Vorwurf ernst, aber ich halte ihn für nicht gerechtfertigt. Natürlich haben wir im Verlauf der letzten Wochen eine Diskussion gehabt, welche neuen Antworten angesichts der sich noch einmal dramatisch verändernden internationalen Lage geboten sind. Ich habe aber auch schon vor der Wahl gesagt: Man kann über eine Änderung des Grundgesetzes sprechen. Nur wenige Artikel sind unveränderbar. Aber: Wenn wir es tun, müssen wir die Schuldenbremse dahin gehend ergänzen, dass wir dann wirklich Investitionen in unsere Zukunft zusätzlich ermöglichen – und das tun wir!“

Merz ergänzt: „Ich habe das immer mal wieder – auch intern zu meinen Kollegen – gesagt: Lasst uns mal nicht zu sehr darauf fixiert sein, dass wir sie nie und nimmer ändern. In unserem Leben ist nichts für die Ewigkeit.“

Und sonst? Hat er im Umgang mit den Grünen, die sich unhöflich behandelt fühlten, Fehler gemacht? Der „Spiegel“ schrieb über seinen Verhandlungsstil: „Monarchen können so agieren, Demokraten nicht.“

 

Alles hat seinen Platz auf dem Schreibtisch von Friedrich Merz: Festnetztelefon, Laptop, Federmäppchen, Locher, Hefter und TV-Fernbedienung – die Schreibtischplatte ist aus Stein

Alles hat seinen Platz auf dem Schreibtisch von Friedrich Merz: Festnetztelefon, Laptop, Federmäppchen, Locher, Hefter und TV-Fernbedienung – die Schreibtischplatte ist aus Stein

Foto: Niels Starnick/BILD

Merz sagt, wenn er gewusst hätte, dass seine „wirklich gut gemeinte“ Nachricht auf die Mailbox der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann (63) „solche Wellen auslöst, dann hätte ich auf diese Nachricht verzichtet und versucht, auf andere Weise so schnell wie möglich mit ihr in Kontakt zu kommen. Ich wollte sie unbedingt informieren, bevor wir am Samstag nach den Sondierungsgesprächen in die Pressekonferenz gingen. Mir war nur wichtig, sie zu erreichen.“

Danach wurde landauf, landab diskutiert, ob es legitim gewesen war, die Einladung, am Schuldenpaket mitzuwirken, auf diese Weise zu hinterlassen. Stilfragen sind das. Merz weiß, dass die nicht unwichtig sind. Aber wichtiger noch ist ihm die Programmatik, auch der Nachweis, dass die politische Mitte in Deutschland trotz größer werdender Ränder handlungsfähig ist.

Und nun?

Es lauern schon die nächsten Fallstricke. Was, wenn Bayern im Bundesrat dem Giga-Schuldenpaket die Zustimmung verweigert, weil Markus Söders kleiner Koalitionspartner Hubert Aiwanger nicht mitmachen will – und dann die nötige Mehrheit verfehlt wird? Merz winkt ab: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch in Bayern alle Beteiligten um ihre Verantwortung wissen.“

Eine der wichtigsten Baustellen der laufenden Koalitionsverhandlungen ist nach wie vor das Mega-Thema Migration, Grenzkontrollen und Zurückweisungen.

Wird er am ersten Tag seiner Kanzlerschaft wirklich Zurückweisungen auch von Asylbewerbern anordnen? Merz sagt: „Wir haben Zurückweisungen mit der SPD verbindlich vereinbart. Wir werden außerdem die Grenzkontrollen verstärken, und dazu benötigt die Bundespolizei mehr Personal.“

Davor steht der XXL-Koalitionsverhandlungsmarathon mit fast 300 Politikern. Sind das nicht zu viele? Merz bittet darum, „keine falschen Rückschlüsse aus der Zahl der Beteiligten auf den Umfang des Koalitionsvertrags“ zu ziehen. „Nicht jeder Teilnehmer wird zwei Seiten für den Vertrag schreiben.“ Sein Rat an alle: „Machen wir es so kompakt wie möglich.“

Auch dieses Wochenende ist bei Merz nicht arbeitsfrei. Aber er will auch lesen, „vielleicht sogar ins Museum ­gehen“ – und: schlafen.

Haben Sie Fehler entdeckt? Möchten Sie etwas kritisieren? Dann schreiben Sie uns gerne!

Related Articles

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Back to top button
error: Content is protected !!

Adblock Detected

DISABLE ADBLOCK TO VIEW THIS CONTENT!